Rezension zur LP SARDH : BRUTH von Alexander Nym
Pop für Klingonen
Die Dresdner Künstlergruppe SARDH erforscht auf ihrem neuen Album Klangräume zwischen Archaik und Futurismus.
SARDH ist ein Musikprojekt einiger etablierter Dresdner Künstler, die z.T. schon seit Jahrzehnten auch in anderen, kreativen Sphären wie (Klang-)Installationen und Videokunst tätig sind. Seit ihren Auftritten mit dem albumadäquaten Konzertprogramm „ausBRUTH“ beim WGT 2010, dem diesjährigen Wroclaw Industrial Festival und beim legendären Morphonic Lab, das jährlich im Palais im Großen Garten zu Dresden stattfindet, sind sie bei avantgardistischen „Szenegängern“ zum nicht mehr so geheimen Tipp avanciert (was auch mit der Beteiligung des einschlägig bekannten Voxus Imp zusammen hängen könnte).
Das jüngst erschienene Album Bruth zieht demzufolge alle Register anspruchsvoller Klangkunst an der audiovisuellen Schnittstelle von experimenteller Elektronik mit Industrial-/Ritual- und cinematographischen Ambient-Expeditionen, wobei SARDH auch vor dem Einsatz schwerer, mitunter disharmonisch eingesetzter Post-Rock-Gitarren und martialischer Psychedelia nicht zurück schrecken, die Anleihen von majestätischem Metal aufweisen („tessga tendur“). Die von barschen Effekten verstärkten Stimmeinsätze rezitieren, wenn sie sich nicht (wie in „aera eff“) auf repetitiv gebrüllte Warnungen beschränken, kryptische Glossolalien oder assoziative Wortgebilde, die die den ungeschriebenen Anti-Gesetzen dadaistischer Poetik zu gehorchen scheinen (z.B. „raune stimmen schwittern ein“ auf „brutex“) und in ihrer bedrohlich-dunklen Machtfülle an Test Dept. in ihren besten Zeiten erinnern („para elion“). Die Lektüre des beigelegten Drucks ermöglicht weiteres Rätseln: Was haben Strichgesichte mit Pornostars zu tun? Alles nur „eliamente maskerade“? Oder entzieht sich der bruitistische Cut-up-Text jeder bewussten Interpretation, um ausschließlich akustische, in ihrer drastischen Kratzigkeit an eine Art Black-Metal-Lyrik gemahnende Kontrapunkte zu setzen?
Auch die konzentriert-zurückgenommenen Beats sind mit präziser Effizienz machtvoll und wuchtig eingesetzt, was vor dem Hintergrund atmospärischer Ambiencen und soundtrack-artiger Klanglandschaften eine spannungsgeladene, ausgreifend-räumliche Gesamtwirkung erzeugt, die der solch legendärer Dark-Ambient-Pioniere wie Contrastate oder Inade in nichts nachsteht – nur dass die Kompositionen insgesamt trotz der weiträumigen Produktion kohärente, rhythmusgetragene Songstrukturen aufweisen, was ihnen ansprechende Eingängigkeit, Schlüssigkeit und pointierte Entwicklungsmöglichkeiten verleiht, die mit Liebe fürs Detail genutzt werden. Zwischen den neun ausladenden mid- bis downtempo-Stücken finden sich denn auch schnellere tanzflächenkompatible (sofern man einen Club auf Jupiter betreibt, oder eine Bar im 22. Jahrhundert, oder die passende Untermalung für ein Remake von „Eyes Wide Shut“ im Matrix-Universum sucht) wie das bereits erwähnte stampfende „tessga tendur“ oder die primitivistische SF-Hymne „asterloh“. Wenn man also nicht gerade von psychedelischen Photonengitarren oder metallischen Kraftfeldern an multidimensionale Wände gedrückt wird, laden stimmungsvoll düstere Geräuschteppiche und spoken-word-Beiträge zum Verweilen im – durchaus nicht humorfreien – SARDH-Kosmos ein. In den detaillierten Klangkonstrukten wird das Gehör immer wieder von akustischen ready-mades (found sounds bzw. Field Recordings) überrascht, die weniger als gesampelte Referenzen, sondern als Akzente und Stimmungswandler eingesetzt werden; Wegmarken auf dem Pfad durch das verschlungene Universum von SARDH. Das musikjournalistisch denkende Sprachzentrum sucht nach einem Genrebegriff, dem sich Bruth hartnäckig verweigert, aber Ritual-Industrial-Ambient-Rock würde zumindest einen nicht unpassenden Referenzrahmen abstecken. Wobei auch diese Orientierungsmarken ungenügend sind, um dem Ideenreichtum auf Bruth gerecht zu werden, das seine Inspirationen direkt aus postapokalyptischen und futuristischen Paralleldimensionen zu beziehen scheint.
Artwork und Produktion unterstreichen diese Bandbreite zwischen Opulenz und Minimalismus: Das Cover wird von einer handgedruckten Siebdruckgrafik (!) geziert, der ein filigran-zackiges Linienmuster zeigt, dessen Verbindungen zerbrechlich wirken, in der Gesamtheit jedoch massiv und statisch erscheinen wie die Trabekeln, die unseren Knochen Stabilität bei gleichzeitiger Belastungsfähigkeit verleihen. Auf den Seitenlabels der Platten finden sich ähnlich minimal gehaltene Illustrationen, die die Silhouetten von Köpfen außerirdischer Besucher darstellen; frakturiert von ähnlichen Linienmustern – möglicherweise die Porträts der eigentlichen Mitglieder von SARDH?!
Die Vinylscheiben lassen viel Platz für die Rillen, was optimale Klangwiedergabe mit großer akustischer Tiefe ermöglicht, die von der Produktion auch voll ausgeschöpft wird. Man erkennt in jedem Detail dieses Albums, dass hier Leute am Werk waren, die die Möglichkeiten für die bestmögliche Verwirklichung ihrer Visionen kennen und davon Gebrauch gemacht haben. Bruth ist ein Album, das beim ersten Hören sperrig und vereinzelt sogar plagiatorisch wirken mag, bei häufigerem Hören aber seinen durchdachten Eklektizismus und den reifen Einsatz von Technik, Können, Kenntnis und befeuerter Kreativität enthüllt, und von daher nicht nur dezidierten Kennern der elektroakustischen Avantgarde vorbehaltlos empfohlen werden kann. Eine seltene Fusion von Ideen, umgesetzt mit archaischen und modernen Technologien (vom Monochord über Kaoss-Pad bis zum Pisspott), die mit durchdachter Gestaltung zu einem stimmigen Allround-Kunstwerk amalgamiert wurde, dessen Qualität die höchsten Ansprüche sowohl von Musikfreunden wie Sammlern von raren Artefakten der Industrial-Kultur zu befriedigen weiß. Und zum selbstausbeuterischen Preis von 25 Euro auch noch so gut wie geschenkt ist.Statistik: Verfasst von Balog — 05.12.2012 (12:03)
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