BLACK: Berlin Bruit Black

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Berlin Bruit Black

Beitragvon SCHRUMBLDID » 01.12.2009 (10:25)

Auf Anfrage. Bericht Berlin Bruit vom Black.
Erster Teil. Nächster Teil -wenn ich wieder Zeit habe- am Donnerstag oder Freitag.
Vollständig, nur das Anfangsgeplänkel weggelassen, da es nichts mit dem Konzert zu tun hat.


Die Warteschlange war lang vor dem Einlass in den Club in die „Music-Hall“ in den Gewölben unter der Jannowitz-Brücke; eine erfreuliche überraschung angesichts der düsteren Gerüchte, es gäbe kaum Kartenvorbestellungen, die von zahlreichen last-minute-promomails mit der dringenden Bitte um Weiterleitung bestätigt zu werden schienen.
Der Andrang ließ auch eine ganze Weile nach Einlass nicht nach, und nach Passieren der Kasse und des Barraumes durchquerte man eine relativ große Dancehall (in der eine Parallelveranstaltung angekündigt war: eine And One-Party), bis man, dem Besucherstrom folgend und geschwätzig weil ständig auf Bekannte stoßend, durch einen schlauchig-eckigen Durchgang in einem weiteren, etwas kleineren Gewölbe ankam. Darin neben Hörsturz-Stand und bescheidenem bis gar keinem Merchandising.Angebot eine Bar, Bühne samt PA und Videoleinwand; großformatige Bilder hängen von der gekrümmten Decke in den Raum, aber bedingt durch die Krümmung der Wände bzw. Decke und dem Mangel an Beleuchtungskörpern kamen die beklemmenden Ölgemälde mit den beunruhigt dreinblickenden Figurengruppen von Liz Hassall leider wenig zur Geltung; von Ausstellung kann angesichts der Hängung ohne Licht und Titel nicht die Rede sein. Auch die angekündigte Filmvorführung habe ich nicht mitbekommen, aber das war glaube ich weil die gar nicht stattfand. Mit gut 300 Besuchern proppenvoll, entwickelten sich im Saal leider im Lauf des Abends Temperaturen von gefühlten 35 Grad im Schatten; das Klima entsprach einem durchschnittlichen Tropentag zwischen Aguirre und Dune.
Anfangs wars erträglich, um nicht zu sagen angenehm, als Ditterich von Euler-Donnersperg, Kaderführer und Werksleiter des traditionsreichen Walter-Ulbricht-Schallfolien-VEB in Hamburg die Bühne erklomm und Platz nahm, um in seiner Eigenschaft als „Sachwalter“ unveröffentlichtes Tonmaterial des ominösen Trios abzuspielen.
Zwischen den ausladenden, angenehm kühlen und distanziert-schwebenden Ambient-Stücken verkündete er dem mäßig-interessierten Publikum den Text „Keiler“ – ein Werk im gewohnt ungewöhnlichen Dadadonnersperg-Stil, voller bizarrer Wendungen innerhalb der Sätze und umwerfender Neologismen bzw. Zusammensetzungen , die sich dem rationalen, interpretativen Denken entziehen, so dass „vom kunstquittierten Weltenschein“ dem Hirn frei zu assoziieren eingeflüstert ward um dem entstellt zu werden von Formeln die geeignet waren, sich „aller gottgegebenen Gotteshäuser zu entschlagen.“
Das Dauerfeuer meta-metaphorischer Bildgewalt ermüdete allerdings selbst die ausdauerndsten ZuhörerInnen, und die, die schon ausgestiegen waren, waren selbst dreist am Schwätzen, was es zunehmend erschwerte, Donnerspergs dezent donnernd davongaloppierenden Sätzen zu folgen; bzw. ihre Spuren aus dem eben gehörten Abstrakta herauszufiltern, was fast zwangsläufig zu einem Sprachszentrums-Overflow führen muss.
Gut, dass die Temperaturen der Hirnwindungen anschließend von einer Runde irisierend-unterkühlter WERKBUND-Elektronik noch ein wenig gesenkt wurden, bevor es nach kurzer Umbaupause mit einer weiteren Industrial-Legende der ersten Generation weiterging.

Fortsetzung folgt am Donnerstag oder Freitag
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Beitragvon SCHRUMBLDID » 03.12.2009 (9:57)

Fortsetzung. Berlin Bruit-Bericht (Black)

...bevor es nach kurzer Umbauphase mit einer weiteren Industrial-Legende der ersten Generation weiterging: dem Multiinstrumentalisten Z`EV.
Leider muss ich gestehen, dass er an meinen durch seine eindrucksvolle Biographie hochgeschraubten Erwartungen gescheitert ist; das letzte Stück, in dem es etwas treibender zur Sache ging, gefiel mir, und war das erste, mit dem etwas Bewegung in die Anwesenden kam – schade, dass auf dem Weg dahin sein wenig inspiriert wirkendes Geklöppel und Gong-Gekratze mehr Freejazz-Einflüsse aufwies, als archaische oder ritualistische – oder wenigstens rhythmische.
Dafür entschädigten COLUMN ONE auf ganzer Linie, indem sie enttäuschten Erwartungen gleich noch ein paar hinzufügten: Robert Schalinski (?) und sein Helfershelfer Ulli Rehberg (?), ewiger Praktikant beim Hamburger Industriemulti WUS, dem weltgrößten Hersteller von Schalkfolien und Plastikeimern, zimmerten erst eine zeitlang ein Floß auf der Bühne zusammen – oder etwas ähnliches; da sie selbst in einem Akt von unsäglich dreistem product placement Plastikeimer (wenn auch mit einer Art „Sicht-Sieb“) auf den Köpfen trugen, konnten sie kaum sehen, was sie da eigentlich zusammennagelten. Wie es sich bei den bereits erwähnten, langsam steigenden Temperaturen unter den Eimern angefühlt haben muss, wissen nur COLUMN ONE und Darth Vader allein.
Währenddessen liefen Film- und Klangloops, unter anderem von einer Schneckenkopulation in Makroaufnahme, bis während einer Weißblende, begleitet von Klirren und Gehämmer, das Floß aufgerichtet wird. Auf des anderen Schultern sitzend, tanzen die beiden blinden Schreiner einen schwankenden Walzer mit ihrer wackeligen Konstruktion; Ulli beginnt, die Bohlen von den Trägern zu treten, die Bretter fliegen davon, poltern auf die Bühne; die erste Reihe geht in Deckung, denn die beiden wie betrunken schwankenden Zirkusartisten auf der Bühne sehen immer noch nichts, und die Bretter samt Nägeln poltern zu Boden.
Dazu ist anschwellendes, sich beschleunigendes Geplapper und Verkehrslärm zu hören, auch wenn auf dem Bildschirm eine Straßenszene, vom Gehsteig unter einer Eisenbahnbrücke mit Stativ gefilmt und geloopt, immer schneller werdend, bis die immer selben Fahrzeuge vor der roten Ampel eingefroren zu sein scheinen; immer wenn sie fahren, verschwinden sie; beginnen zu flackern, sind gleichzeitig da und doch nicht da, während ein ebenso sich beschleunigender Sprachsample insistierend leiert und jodelt, dass der Auktionator einer „osmanischen Hammelversteigerung“ (Besucherkommentar) neidisch werden könnte – doch die Künstler sind schon Minuten zuvor, ihrem skelettierten Floß folgend, zu Boden gepurzelt und sind dort liegen gebliebe, reglos wie ihr sinnloses Werk, derweil die Show weiterläuft, sich Film und Klang beschleunigen zu einer verrückten Kakophonie, die mit den unbewegten Körpern auf der Bühne in seltsam beredten Dialog tritt, ohne etwas (aus-)zu sagen.
So geschieht minutenlang buchstäblich nichts, ausser dass sich das monoton-zappelige Verkehrszählungsvideo beschleunigt und auch der Marktschreierloop unmerklich schneller wird, dazu noch ein penetrantes Hupkonzert, das zunehmend den Raum füllt und klingt, wie das Sirren von Stechmücken über einem konstanten Signalton – bis urplötzlich, wie mit einem Schlag körperlicher Gewalt, abrupt Stille eintritt.
Jubel, Gelächter, Applaus, Kopfschütteln, Raucherpause, frische Spreeluft, Bratwurst, Steakbrötchen, Kehle befeuchten und auf dem Rein- und Rausweg durch die AND ONE-Party schleichen, wo sich deutlich dunkleres und jüngeres Publikum einfand.

Fortsetzung folgt. (nächste Gruppe bekommt positive Resonanz)
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Beitragvon SCHRUMBLDID » 04.12.2009 (13:01)

Fortsetzung Berlin Bruit/Black:

Die Menge nebenan, bei den Bruitisten, war altersmäßig breit gefächert und überwiegend leger und unschwarz gekleidet (Hemden, Pullover, Jeans), so dass die wenigen Teil- und Volluniformierten nicht weiter auffielen. Wer einen Aufmarsch der HJ erwartet (oder befürchtet) hatte, wurde angenehm überrascht. Die ersten Höhepunkte (temperatur- wie musikmäßig) gab es für mich während des sehr gut aufgenommenen Gigs von lAST DOMINION LOST, die zu ihrer Irritation als „SPK ohne Graeme Revell“ o.ä. angekündigt worden waren, was später (etwa bei Fanberichten im Internet) zu merkwürdigen Blüten führen sollte. Also, zum Mitschreiben: Auf der Bühne stand nicht etwa D. Guerin, sondern Julian Percy an der Gitarre, Jon Evans in der Mitte (Elektronik und Geschrei) und natürlich der Veteran zahlloser Bühneneinsätze John Murphy an Effekten, Chaos-Pad und dezent eingesetzter Trommel, wobei die beiden letzteren eine kurze Weile im Live-Lineup von SPK gespielt haben, jedoch ohne größeren kreativen Einfluss auf das Projekt zu nehmen, das zu dieser Zeit bereits zum Vehikel von Revell`s Experiment geworden war, den Spagat zwischen Ambient-, Klassik-, Pop-, Experimental- und ethnischer Musik zu vollbringen.
Für beide, Evansund Murphy, war die Zeit mit SPK nur eine Phase von vielen, und die Assoziation damit (obwohl musikalisch nicht sehr weit hergeholt) verschaffte ihnen ein gewisses ironisches Amüsement. So startete Evans den Auftritt mit der Begrüßung „Sorry Graeme couldn`t make it tonight“ – bedenkt man, dass in Murphy`s Berliner Unterschlupf das Wasser durchs Dach kommt wie auf Spitzwegs Gemälde vom „Armen Poet“, mischt sich eine Spur lakonischer Bitterkeit in den Scherz angesichts der edlen, von Voodoo-Masken und Gargoyle-Statuen bevölkerten Hollywood-Villa, die Meister Revell dieser Tage bewohnt.
Der Auftritt von LDL war energetisch, erfrischend und erzeugte viel positive Resonanz, auch wenn das tatsächliche Zusammenspiel manchmal am Gitarristen vorbei ging. Wie Murphy später erklärte, spielt der notorische Einzelgänger Percy erst seit kurzem mit anderen Musikern zusammenund steht am Beginn , die (wortlose) Kommunikation zwischen Bühnenkünstlern zu erlernen. Trotz des prima Auftritts trieb mich die stickig-feuchte Hitze irgendwann nach draußen; meine Hochachtung den Musikern, die sich tapfer durch ihr Set arbeiteten, das aus abwechslungsreichen Lärmnummern mit verzerrtem Schreigesang alter Schule bestand. Stimmlich unterstützt von John Murphy („We destroy“), zahlreichen Samples und Sounds, fast melodischen e-bow-Einlagen von der Gitarre und gelegentlichen Schlagzeugakzenten erzeugten die drei Gentlemen Krach vom Feinsten und nicht ohne sanguistischen Humor, so etwas bei der Einleitung von „Allergy“, als Murphy erläuterte:“It was recorded three weeks ago with lots of hairpulling,“ und Evans ergänzte:“Our specialty!“
Bei den sich aufschichtenden , zischenden Krachkaskaden kam das Publikum auch bei ein paar aufgebrochenen Takten in Bewegung, doch die Hitze ermüdete nicht nur die Musiker, sondern auch das Publikum. Der spürbare Publikumsschwund nach LDL mag aber auch an dem sich während der Umbaupause im Keller ausbreitenden , penetrant süßen Duft gelegen haben. Auf der Bühne wurde ein weiteres Holzgerüst zusammen genagelt, diesmal mit vier aufrechten Holzleistenauf einer quadratischen Basis, in deren Mitte auf der Bühne ein großer blauer IKEA-Einkaufssack aus Plastikleinen lag und jenen ominösen Geruch verströmte, der auf weitere Performancekunst der bruitistischen Art schließen ließ.
Nachdem Stefan Schwanke und das „Iron Flame“-Team bei ihrem letzten Festival in den Gewölbekellern vier Jahre zuvor schon verschollen geglaubte Industrial-Legenden auf die Bühne zurück geholt hatten, gab es dieses Mal eine um 20 Jahre verspätete Premiere, nEGAPADRES 3.3., ein wenig bekanntes Projekt des a;GRUMH..-Sängers J-3, das 1987 mit einer dunklen und okkultlastigen LP von sich munkeln machte.

Fortsetzung folgt zur kontroversen nEGAPADRES-Show. (dauerte aber ein paar Tage)
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Re: Berlin Bruit Black

Beitragvon IRONFLAME.de » 04.12.2009 (14:51)

SCHRUMBLDID hat geschrieben:Berlin Bruit Rezension / Black Magazin

vielen dank für's abtippen bzw. ocr-en!

ganz schön lang das ganze, kritik kann ich auch vertragen nur vieles ist einfach nicht korrekt, da sollte man als schreiberling schon besser recherchieren...

Black hat geschrieben:in einem weiteren, etwas kleineren Gewölbe ankam

die netto-bühnen- und publikums-nutzfläche ist im hinteren gewölbe eindeutig größer

Darin neben Hörsturz-Stand und bescheidenem bis gar keinem Merchandising.Angebot

der stand war ein vinyl-on-demand-stand, an dem franks persönliche industrialraritäten unter den hammer kamen, hörsturz waren nur zur unterstützung da, es gab sehr wohl einen großen merchandising-tisch, rechts neben dem mischer.

von Ausstellung kann angesichts der Hängung ohne Licht und Titel nicht die Rede sein.

liz hassals bilder waren auch mit kleinen täfelchen an der wand betitelt
mit dem licht hat an dem abend leider so gar nichts hingehauen, das stimmt

die angekündigte Filmvorführung habe ich nicht mitbekommen, aber das war glaube ich weil die gar nicht stattfand

die experimantal_kurz_filmvorführung fiel nicht aus, sondern fand wie geplant vor bzw. zwischen den konzerten statt.

Mit gut 300 Besuchern proppenvoll

wir hatten 140 zahlende gäste; wieviele leute das iranische besitzerarschloch für lau bzw. in seine eigene tasche hineingelassen hat wissen wir nicht, jedoch wohl eher nicht 160, von daher ist 300 ganz sicher zu hoch gegriffen.

Robert Schalinski und sein Helfershelfer Ulli Rehberg zimmerten erst eine zeitlang ein Floß auf der Bühne zusammen [...] Ulli beginnt, die Bohlen von den Trägern zu treten

column one waren natürlich wie immer robert schalinski und rene lamp

lAST DOMINION LOST, die zu ihrer Irritation als 'SPK ohne Graeme Revell' angekündigt worden waren

ganz sicher nicht, alle mitglieder hatten die flyer/poster noch vor dem druck zur durchsicht vorgelegt bekommen

Auf der Bühne stand nicht etwa D. Guerin

... hatte so auch niemand angekündigt. anwesend waren 2/3 der letzen australischen bühnenbesetzung (neil hill war zu diesem zeitpunkt schon mit seiner frau und paul charlier mit einem eigenen, ebenfalls <spk> betitelten projekt unterwegs) von spk: john murphy und jon evans.

eine um 20 Jahre verspätete Premiere, nEGAPADRES 3.3., ein wenig bekanntes Projekt des a;GRUMH...-Sängers J-3

nEGAPADRÈS.3.3. (wie auch à;GRUMH...) sind zu 100% ein musikalisches produkt des à;GRUMH...-gründers, musikers und texters SΔ3 EVETS, JΔ3 singt in beiden projekten. außerdem hätte ich gedacht, das in berlin-bruit-relevanten zirkeln das ritualindustrialprojekt doch bekannter ist als die e.b.m.-kombo...?
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Re: Berlin Bruit Black

Beitragvon And242 » 05.12.2009 (15:35)

IRONFLAME.de hat geschrieben:nEGAPADRÈS.3.3. (wie auch à;GRUMH...) sind zu 100% ein musikalisches produkt des à;GRUMH...-gründers, musikers und texters SΔ3 EVETS, JΔ3 singt in beiden projekten. außerdem hätte ich gedacht, das in berlin-bruit-relevanten zirkeln das ritualindustrialprojekt doch bekannter ist als die e.b.m.-kombo...?

Ich hab es vorher nicht gekannt bzw. gewusst und hätte es durch Dich wohl auch nie erfahren. Tja, umso mehr ärgere ich mich jetzt immer noch über meinen Nichtbesuch.
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Re: Berlin Bruit Black

Beitragvon IRONFLAME.de » 05.12.2009 (17:01)

And242 hat geschrieben:
IRONFLAME.de hat geschrieben: außerdem hätte ich gedacht, das in berlin-bruit-relevanten zirkeln das ritualindustrialprojekt doch bekannter ist als die e.b.m.-kombo...?

Ich hab es vorher nicht gekannt bzw. gewusst und hätte es durch Dich wohl auch nie erfahren. Tja, umso mehr ärgere ich mich jetzt immer noch über meinen Nichtbesuch.

du hast es doch durch mich erfahren - hier im forum gibt's doch eine ausführliche diskussion dazu, inklusive ankündigung, wo sicher auch à;GRUMH... erwähnt werden. obwohl... - allzu sicher bin ich mir da jetzt gar nicht mehr :)

auf jeden fall ist jede circle-records-platte ein juwel und wenn ich endlich das geld zusammen hab, gibt's auch endlich auf IRONFLAME die ultimative circle-records.anthology-box, remastered und plus dem ersten, rituellen à;GRUMH... album 'rebearth'!
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Beitragvon SCHRUMBLDID » 06.12.2009 (9:58)

@ironflame: Gut, dass du Diverses korrigierst!!
Ich habe es im Nachhinein bereut, nicht dort gewesen zu sein (meine Urlaubsanfangstage waren da leider), denn ich hätte zu gern selbst dazu etwas geschrieben bzw. meine Sicht der Dinge dargelegt.
Ok, weiter geht’s:



Während a;GRUMH..mit deutlichen Anleihen bei Situationismus, Aktionismus und Discordianismus zu Werke gingen, was ihren Arbeiten jene charakteristische, sardonische Note verlieh, klangen nEGAPADRES 3.3 wesentlich bedrohlicher, ernsthafter, dunkler, besessener.
Der inzwischen 46jährige J_3 beeindruckte durch seine sehr physische Bühnenpräsenz - nachdem er sich obenrum frei gemacht und mit Bier übergossen hatte, machte er sich daran, mit seinen beneidenswert langen Haaren die Bühne aufzuwischen und sich im Schmodder rumzuwälzen. Das allein hätte zwar schon jeder Heavy-Metal-Combo zur Ehre gereicht, aber J_3 war noch nicht fertig:
Aus dem blauen Ikea-Beutel zog er im Lauf der Show drei Schafsschädel („Are you ready for a new sacrifice?“) in unterschiedlichen Verwesungsstadien, und die Frontalattacke auf die Riechnerven verstärkte sich mit jedem Schädel, der auf die vorbereiteten Holzlatten gespießt wurde. Einer schien ihm so gut zu gefallen, dass er sich von dem stinkenden, verfaulenden Maul mit Zungenkuss verabschiedete. Ein von religiöseen (Miss-)Erfahrungen motivierter Kritikversuch am anal konditionierten Sauberkeitswahn? So ne Art Charlotte Roche der Industrial-Culture, inklusive SPK-Zitat? Jedenfalls wummerten die grollenden Bässe und Beat-Stakkatos ganz ordentlich, zu denen J_3 wie besessen religiöse Slogans brüllend wiederholte:“El muerte del cristo – el sangre negro“ und ähnlich finsteres Zeug zu überraschend krachigem Soundtrack. Nachdem er den ersten Schädel zu den Zeilen „No more pain, Jesus is here“ noch innig abgeknutscht und abgeleckt hatte, wird die Show noch rasender, als J_3 zu Gekratze und Gerumpel schreiend deklamiert „No more pain, needles, bloody shit, needles, the potion is in my veins, no more pain, needles....“, aber statt nem Schuss genehmigt er sich lieber noch ne Bierdusche. Keine Frage, der Mann weiß, was ne Show ist. Die trancigen Beats sorgen für Bewegung im Publikum, einzelne beginnen, die Slogans mit zu skandieren („Uomo die, uomo lupus“) oder ihn anzufeuern – aber nach einer Weile (und zwei weiteren aufgebockten Schafsschädeln) bietet die Darbietung doch etwas Abwechslung; die Beats und Sequenzen, die J_3`s Kollege seinem Korg entlockt, addieren sich allzu linear ihren Höhepunkten entgegen, und J_3 scheint zu solchen nach mehreren Stücken ununterbrochenem Schreigesang auch nicht mehr in der Lage zu sein. Er flüstert dem Keyboarder was ins Ohr, und nach dem Stück ist dann ganz plötzlich Schluss, kurze Verabschiedung und sofortiger Abgang, obwohl von vier Stangen erst drei mit Schafsköpfen besetzt sind und der Inhalt der IKEA-Tüte Weiteres versprochen hatte. Ein plötzliches, ein antiklimaktisches Ende – auch wenn das 3.3-Programm Längen gehabt haben mag, erschien es nach diesem abrupten Abbruch doch wie ein unvollständig gebliebenes Ritual. Allerdings schienen J_3`s Darstellungen von Besessenheit ausgereicht zu haben, zumindest einen Besucher (bzw. dessen Dämonen) zu ähnlich orgiastischer Ausschweifung zu veranlassen: Ein Typ vor der Bühne, der reichlich zugedröhnt am Rumzappeln war, übergoss sich schliesslich ebenfalls mit den Resten aus seiner Pilsflasche.
Schade, dass er bei dieser Gelegenheit nicht auch die penetranten Foto-Heinis mit eingesaut hat, von denen einer doch glatt die Frechheit besaß und mit auf die Bühne kroch, um die Schädel und J_3 aus nächster Nähe zu knipsen. Wahrlich eine plastische Demonstration der Heisenbergschen Unschärferelation: Da wurde der Beobachter zum Teil des Beobachteten.
An dieser Stelle muss ich eine Kritik loswerden, die mir schon länger auf der Leber liegt, nämlich die zunehmende Fotografenpest auf Konzerten. Von weiter hinten bietet sich mittlerweile auf den meisten Veranstaltungen das Bild eines Waldes aus Displays von Handy- und Digitalkameras, wobei die Beleuchtung ohnehin nicht ausreichend ist, um vernünftige Bilder mit solchen Geräten zu erzielen.
Reichen da nicht ein paar akkreditierte Hobbyisten mit semi-professionellen Kameras, die die besten Bilder hinterher ins Internet stellen – und genügend Respekt vor Aufführung und Publikum besitzen, nicht selber auf der Bühne herumzukriechen??
Nichts gegen gründliche Dokumentation, speziell im Zeitalter der In- und Exformation, aber was beim „Berlin Bruit“ auch viele extrem nervte, war die dichte Fotografenwand insbesondere bei den performancelastigen Auftritten. Den betreffenden Personen hätte etwas mehr Distanz (im wörtlichen Sinne) gut zu Gesicht gestanden.
Wer ne dicke Kamera als nonverbalen Vorwand nutzt, die Bühne zu belagern und dem Publikum während ganzer Auftritte die Sicht zu erschweren, erzwingt schärfere Sicherheitsmaßnahmen bei Veranstaltungen, deren Charakter eigentlich gerade von Selbstkoordination, Zurückhaltung und der Abwesenheit von Kontrollzwängen geprägt ist.

(Fortsetzung mit SJ folgt demnächst. In ein paar Tagen. Ein Teil noch mit SJ und daraufhin noch der letzte Teil, der das Gesamtfazit beleuchtet).
PS: Pet Shop Boys (mag ich auch zuweilen)
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Beitragvon Stahlknecht » 06.12.2009 (15:24)

SCHRUMBLDID hat geschrieben:...
Ok, weiter geht�s:
...
Wer ne dicke Kamera als nonverbalen Vorwand nutzt, die B�hne zu belagern und dem Publikum w�hrend ganzer Auftritte die Sicht zu erschweren, erzwingt sch�rfere Sicherheitsma�nahmen bei Veranstaltungen, deren Charakter eigentlich gerade von Selbstkoordination, Zur�ckhaltung und der Abwesenheit von Kontrollzw�ngen gepr�gt ist.




Die Fotografen-Wand hat mich auch extrem gestört! Von dem sich, die Hälfte des Auftritts über, auf dem Boden befindlichen J3 sah man jedenfalls nichts mehr.
Denjenigen der die Schädel mal aus der Nähe fotografiert hat und ansonsten auf der Bühne herumkroch konnte man zwar sehen, aber er versperrte immerhin nicht die Sicht und war für diesen Abend auch offizieller "Band-Fotograf". Und dessen Kamera-Aufsatz hat beim Blitzen definitv nicht so geblendet wie die Kameras der Leute die direkt vor der Bühne standen (ja, bei Blitzlichtern gibt es auch Unterschiede).
Allerdings war die Verweildauer auf der Bühne von ihm doch etwas lang.

Aber wenn es einen "offiziellen" Fotografen gibt, dessen Bilder auch auf der n3.3 HP zu sehen sind, wieso wird dann diese alles verdeckende Fotografen-Wand vor der Bühne nicht aufgelöst?
better stick to low tech stuff
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Beitragvon And242 » 06.12.2009 (15:35)

Mit dem Fotografieren ist immer so eine Sache. Man darf nunmal nicht, aus Gründen des Urheberrechts, die Bilder der anderen Fotografen verwenden.
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Beitragvon IRONFLAME.de » 07.12.2009 (2:37)

SCHRUMBLDID hat geschrieben:Ok, weiter geht's:

erneutes dankeschön auch für deine aktuelle tippmühe!

So ne Art Charlotte Roche der Industrial-Culture, inklusive SPK-Zitat?

musste auch an das spk-video denken, als ich JΔ3 das erste mal (noch bei à;GRUMH... und damals mit schweinekopf) erstmals sein interesse an enthauptetem getier auf der bühne ausleben sah... :)

Beats und Sequenzen, die J_3`s Kollege seinem Korg entlockt

der zweite mann an dem abend war jean-christophe sanchez, t-circle member und in seiner heimat paris haupsächlich als 'institut drahomira' aktiv. nEGAPADRÈS.3.3.-hauptakteur SΔ3, war, stellvertreten durch einen papagei in einer box auf der bühne, 'anwesend' ;)

dann ganz plötzlich Schluss, kurze Verabschiedung und sofortiger Abgang, obwohl von vier Stangen erst drei mit Schafsköpfen besetzt sind

à;GRUMH.../t-circle/etc.-kundige wissen um die bedeutung der '3' im circle-kosmos, von daher war von bandseite her klar, dass es bei drei schafsköpfen bleiben würde.

drei Schafsschädel in unterschiedlichen Verwesungsstadien

dem stinkenden, verfaulenden Maul

ähem, die köpfe (ja, in der tüte befanden sich noch mehr exemplare) waren frisch - ich selbst habe shaun & seine freunde noch am selben morgen 100km südlich von berlin aus einer schlachterei abgeholt. zugegeben unter umgehung vieler bestimmungen & gesetze, improvisierte irreführungstaktik/aktion bzgl. einer plötzlich auftauchenden veterinärin im schlachthaus inklusive ;)

...die penetranten Foto-Heinis, von denen einer doch glatt die Frechheit besaß und mit auf die Bühne kroch

wie schon freundlicherweise von 'stahlknecht' klargestellt, handelte es sich bei diesem fotografen um einen freund der band, der den auftritt für sie dokumentiert hat. zugegeben - seine überpräsenz auf der bühne fand ich jetzt auch nicht so toll - andererseits verdanken wir ihm fotos wie diese hier:

BildBild
Bild


und wen im publikum die digitalknipser nerven: ansprechen hilft da in 99% der fälle.

(viel schlimmer finde ich die quatscher, beim superschönen roma-amor-konzert gestern z.b. war ich kurz davor, mir das mikro der sängerin zu greifen und die bierselige kameradschaft sachsen, die zum support-auftritt der neuen deutschen neofolkband 'stein' angereist waren, des raumes zu verweisen...)

was mich als veranstalter allerdings nervt, ist, dass von den gefühlten 30 'fotografen' da vor der bühne (diese traube da vor der bühne wirkte wirklich sehr bizarr, eher wie haute-couture-laufsteg paris denn wie industrialfestival berlin) nur wieder die üblichen drei (martyn, etc.) so kooperativ waren, uns nach dem festival auch die fotos zukommen zu lassen.
wohin verschwinden denn bitte immer die anderen foto- und videoaufnahmen - in p2p-tauschzirkeln? oder gar einzig bei der dementsprechenden person zu hause? und dafür dann solch megaknipsen mit megaobjektiven? ich versteh's nicht, echt...!

beim statement-1961-festival haben drei leute gefilmt, ich hab bis heute keine sekunde bewegtes material von dem abend gesehen....

so genug abgekotzt, weiter im programm! :)
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Beitragvon ohmnoise » 07.12.2009 (8:40)

And242 hat geschrieben:Mit dem Fotografieren ist immer so eine Sache. Man darf nunmal nicht, aus Gründen des Urheberrechts, die Bilder der anderen Fotografen verwenden.


Was man nicht so alles darf in diesem Rechtsstaat, gell?! :lol:
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Beitragvon And242 » 07.12.2009 (9:08)

Kapital/Geld ist das Stichwort. Aber mit Klagen sind Musiker ja immer recht schnell. Ganz vorne weg, Ralf Huetter.
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Beitragvon SCHRUMBLDID » 08.12.2009 (9:12)

Vorletzter Teil:

Aber zurück zum Thema: Den glänzenden Abschluss des Festivals bildeten die drei Inseleuropäer von SUTCLIFFE JUGEND mit ihrer lebhaften Attacke aus fiesem Gitarrengeschrammel samt Rückkopplungen und dem üblichen Lärm plus Geschrei in der Agit- & Aggro-Tradition („You are shit“ etc.) – erfrischend, wenn auch weniger böse und brutal als gewohnt. Stellenweise wirkten sie wie die sympathischen älteren Herren, die sie sind. Aber trotzdem erstaunlich, was man aus einer Stromgitarre und ein paar Effekten (ob der Bassnoise vom Playback kam?) für Krach rausholen kann. An dieser Stelle das obligatorische Schulterklopfen für DJ Ragnar, der für den Sound verantwortlich zeichnete, sowie an Stefan, Ilja, Andy & Co für die harte Arbeit, ein spannendes, abwechslungsreiches und kontroverses Festival auf die Bühne zu stellen, das trotz ein paar organisatorischer Schwierigkeiten (verspäteter Beginn, Verwirrung bei der Ausgabe der im Eintrittspreis enthaltenen Schallplatte) einen Höhepunkt ganz eigener Art in der Festivallandschaft darstellt – und dem hochgesteckten, im Namen angelegten Ziel, bruitistische Kunst zu präsentieren, voll und ganz gerecht wurde.
Auch wenn die Column-1-Performance an vielen vorbei ging und weithin als schlicht langweilig empfunden wurde, löste zumindest der Auftritt der nEGAPADRES die unterschiedlichsten Reaktionen aus. Manche taten es als kindisches Getue ab, als quasi-embryonale Regression in längst vergangene Industrial-Urzeiten, andere als überflüssige Geschmacklosigkeit oder plumpe Schocktaktik, so war ich doch amüsiert von der Intensität der Ablehnung, obwohl man gerade bei einem Industrial-Festival mit wesentlich drastischeren Inszenierungen (wie etwa Schockfilmchen) hätte rechnen können, und manche Einstellungen der lAST DOMINION LOST-Videos waren auch nicht gerade für empfindsame Gemüter geeignet. Dass eine Performance, die die sensorische Attacke aufs Publikum von den akustisch-optischen auf die Geruchsebene ausdehnt, den ästhetischen Angriff also nicht aufs Audiovisuelle beschränkt, insbesondere von einem Publikum von dem man annehmen sollte, dass es sich durch das vorauszusetzende Interesse an typischen Taktiken der Industrial Culture auszeichnet, so kontrovers aufgenommen wurde, spricht dafür, dass diese kulturellen Waffen noch längst nicht stumpf geworden sind.
Kunstgeschichtlich mag man solche Ekelperformances als seit den Wiener Aktionisten, COUM Transmissions et al komplett durchdeklinierte Praxis abtun, aber zwischen der vermittelten Information über etwas und seiner tatsächlichen Erfahrung steckt eben noch immer ein Kosmos der sensorischen Eindrücke – auf den jeder Mensch unterschiedlich reagiert.
Sozialität durch den Diskurs über solche gemeinsam gemachten (Grenz)Erfahrungen ist das Produkt solcher ansonsten der Vergänglichkeit unterworfenen Performances. Eine spontan improvisierte Performance der anderen Art ereignete sich nach dem Ende des Festivals, als ein vermutlich alkoholisierter und/oder zugekokster Mitarbeiter des Clubmanagements für überflüssigen Stress sorgte bei dem unbeholfenen Versuch, die wenigen restlich verbliebenen Helfer und Gäste zum vorzeitigen Verlassen des Etablissements zu überreden. Da der wenig beherrscht wirkende Mann nicht Herr seiner Verantwortung war, mussten staatliche Ordnungskräfte verständigt werden, um sicherzustellen, dass es durch ihn nicht zu weiteren Belästigungen kam.
Solche unschönen Nachspiele sind in der momentanen Situation für die Beteiligten zwar wenig angenehm, aber sie sind der Stoff, aus dem rückblickend Legenden gestrickt werden.

(letzter Teil -mit u.a. einem Kommentar zu der im Ticketpreis enthaltenen LP und Gesamtfazit- im Laufe der kommenden Tage)
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Beitragvon SCHRUMBLDID » 09.12.2009 (12:32)

Fortsetzung (letzter Teil)

Dass es bei Einlass, Zeitplan, und der Vergabe der im Ticketpreis enthaltenen LP in Einzelfällen zu Verzögerungen kam, ist angesichts des Umfangs von Vorbereitung und Durchführung einer derartig ungewöhnlichen Veranstaltung trotz der Tatsache, dass es sich bei den beteiligten Underground-Aktivisten sämtlich um Profis handelte, verzeihlich.
Mein durchaus subjektiver Eindruck aus den vielfältigen Impressionen der Nacht, von den Auftritten der Künstler über die vielen netten Wiedersehen und neuen Gesichtern bis zum nächtlichen Spreeufer unter der Jannowitzbrücke, ist der von einer seltsamen Manifestation, oder besser: Kristallisation des ästhetischen Geltungsanspruchs einer antiautoritären Gegenkultur, die die Transgression nicht scheut, ob auf, vor oder hinter der Bühne. Von allen Beteiligten kann gesagt werden, dass sie ihre Kunst trotz aller Entbehrungen leben. Auch wenn manche Provokation etwas schal anmuten möchte: der kulturelle Signifikator, den BERLIN BRUIT ins kulturelle Gedächtnis des frühen 21. Jahrhunderts kerben wird, ist die symbolische Verbeugung vor der letzten Avantgarde des 20. Jahrhunderts; aber auch die fatalistische Anerkennung der überholtheit der künstlerischen Subversionsstrategien der Industrial Culture im digitalen Zeitalter (inklusive poitenloser Performance und spontan abgebrochenem Auftritt), die sich selbst ein Denkmal in retrogardistischer Artefaktform, als personalisierte Vinyl-LP, setzt; ein hoch codiertes Geburtstagsgeschenk an sich selbst.
Ein Abend, den man unter dem Motto „ältere Herren machen Krach“ zusammenfassen könnte, wäre da nicht die Restschärfe der Rebellion, des Aufstandes gegen künstlerische und moralische Meinungsmonopolisierung, gegen industriekompatible Präsentations- und Marketingstrategie, die auch eine kräftige Prise der Reminiszenz und der Nostalgie an die achtziger Jahre enthielt. Haptisch verkörpert im Vinyl-Sampler zum Festival, betreibt die Industrial Culture ihre eigene Historisierung; produziert Erinnerungskultur zum Anfassen im Zeitalter der jpg-memories und koppelt an dieses Souvenir die Erinnerungen an ein außergewöhnliches Ereignis, das in der Eventkultur-gedopten Veranstaltungslandschaft seinesgleichen sucht. Für mich auf jeden Fall ein wunderbarer Abend voll wundersamer sensorischer Eindrücke im Kreise lieber Freunde, ein würdevoller Höhepunkt des Sommers null-null-acht und denkwürdiges Datum dieses jungen Jahrhunderts.
Ende
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