Rzei aloha

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Rzei aloha

Beitragvon adnoiseam » 28.04.2004 (15:34)

Hallo,

Die neue Ausgabe von Legacy enthält ziemlich viele Rezensionen von Ad Noiseam CDs (und auch eine Interview mit mir, hehe). Hier sind sie:

CORDELL Klier "Winter"
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Angesichts des einbrechenden Frühlings mag die Besprechung eines mit "Winter" betitelten Albums zwar fehl am Platze sein, und dennoch verdient das zweite, unter eigenen Namen veröffentlichte Album Kliers einige kommentierende Worte. Seit dem ersten Release "Apparitions" sind mittlerweile rund zwei Jahre vergangen, Zeit, in der sich der unter verschiedenen Projektnamen und mit eigenem Label umtriebige Klier seinen Rang in der Clicks&Cuts-Liga erarbeitet hat. Die zehn neuen Tracks schließen sich thematisch an die der ersten Veröffentlichungen an, doch läßt "Winter" eine Änderung der musikalischen Mittel erkennen. Zwar sind nach wie vor Samplefragmente, Drones und Glitchsounds die tragenden Elemente, doch das Klangspektrum wirkt deutlich wärmer und organischer als beim Vorgänger. Daher haben die Stücke nicht mehr die paranoid-düstere Aura der Vergangenheit und transportieren eher eine positive Grundstimmung statt die ehemals dominierende Vision der lebensfeindlicher Kälte. Der reduzierte Anteil von Samples und die deutliche Aufwertung der sphärischen Sounds erweist sich bei Tracklängen von über fünf bis neun Minuten ist nicht immer von Vorteil, da hier durchaus langatmige und sehr ereignisarme Sequenzen zustande kommen. Die Hinwendung zu eher klassischem Ambient dürfte "Winter" zweifellos auch für weitere Hörerschichten interessant machen. Für Klier bedeutet der hier eingeschlagenen Weg Richtung Mitte jedoch auch, in diesem, an Produzenten und Output reichen Genre wertvolles Profil zu verlieren. Webpräsent unter http://www.doctsect.com (FS)
11 Punkte

DETRITUS - "Endogenous"
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Aber hallo! Schon der erste Track der CD wirft die Frage auf, weshalb David Dando-Moore mit seinem Projekt DETRITUS noch nicht zu den ganz Großen im Musikgeschäft zählt. Denn das 5 Minuten-Stück 'Ramify' alleine hat bereits das Zeug für einen kompletten Soundtrack. Druckvolle, düstere Drones wechseln sich mit treibenden Downbeat-Passagen und opulentem Streichersätzen ab und liefern einen Sound, der in Sachen akkurater Komposition, atmosphärischer Tiefe und musikalischer Bandbreite sicherlich den Vergleich mit den Arrangeuren der großen Hollywood-Studios nicht zu scheuen braucht. Die weiteren Stücke untermauern den ersten Eindruck. Hier treten zwar vermehrt die Drum-Patterns in den Vordergrund, die Melodienvielfalt, vielfach getragen durch Orchestersätze, wahren aber den score-haften Charakter der Tracks. Das entspricht auch dem Motiv, das dem Album zugrunde liegt. Nach zahlreichen Dancefloor-orientierten Produktionen sollte mit "Endogenous" wieder der Hörer als Zentrum des Kompositionsprozesses dienen. Den Melodien wurde ein Mehr an Raum zugestanden und der Atmosphäre der Vorzug vor der üblicherweise dominierenden, rhytmuslastigen Clubkompatibilität eingeräumt. Was nicht heißen soll, daß Dando-Moore hier einen weichgespült-ambienten Ansatz gewählt hätte. Ausgeprägte, oft komplex arrangierte Rhytmusstrukturen sind integraler Bestandteil in jedem der zehn Stücke, dienen hier aber eher als Unterbau und Haltepunkte der instrumentalen Parts. Die beiden auf der CD enthaltenen Remixe halten sich nicht an die ursprüngliche Gewichtung. Und so halten mit den überarbeitungen von Pneumatic Detach und Scrap.edx auch noch zwei astreine Clubversionen Einzug auf dem Silberling. "Endogenous" beweist, daß trotz der geschmacklichen Gleichschaltung und der Flut mittelmäßiger Veröffentlichungen elektronische Musik noch immer schön und spannend sein kann. Das das Label dem Release auch noch zu brillantem Artwork verholfen hat, sei nur noch am Rande bemerkt.
Webpräsent unter http://www.endogenous.co.uk (FS)
15 Punkte

LAPSED "Twilight"
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Ein Amerikaner auf einem Berliner Label. Mit dem Longplayer von Jason Stevens aka LAPSED bringt Ad Noiseam ein weiteres Debüt in die heimischen CD-Player. Stevens, der in seiner Heimat Salt Lake City, Utah, seinen Lebensunterhalt als Verkäufer in einem Plattenladen bestreitet, bewegt sich mit seinen titellosen 13 Tracks auf bekannten Pfaden im Areal der Clicks und Cuts. über Kopfhörer genossen, weiß vorallem das Sound Design zu gefallen. Keine schnöden Preset-Sounds, sondern nuancen- und facetten reiches Soundmaterial, bei dem, bei aller gewünschter Beliebigkeit, nichts dem Zufall überlassen wurde. Die Tracks an sich sind zumeist sehr harmonisch und wenig vertrackt gehalten, was zwar der Genießbarkeit auf Albumlänge sehr entgegenkommt aber leider auch auch einige vorhersehbare Momente mit sich bringt. Abgerundet wird der Longplayer durch Track 14, einem Remix von Displacer, der den LAPSED-Sound mit weichen Downbeat-Strukturen anreichert und ihn in eher massenkompatibles Hörformat gießt. Wer auf ambiente Releases des Glitch-Genres steht, liegt mit diesem Release bestens auf Kurs, Anhänger der technisch ambitionierten und schwer kopflastigen Tonaldekonstruktion à la Mille Plateaux werden das Material wohl als zu flach betrachten. Auf jeden Fall legt der 25-jährige Stevens mit "Twilight" einen überzeugenden Erstling vor und beweist, daß es in Utah doch mehr als nur Wüste und Rentnerkolonien gibt.
Webpräsent unter http://www.thishell.net/lapsed (FS)
12 Punkte

LARVAE "Fashion Victim"
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Der Pressetext kündigt "Fashion Victim" als Mixtur verschiedenster Einflüsse und ungewöhnlich diverse Veröffentlichung an und rät zur Einordnung in die Sparte Electronica. Und tatsächlich ist der Sound von LARVAE nicht einfach zu kategorisieren. Hier klassisches Electro-Fahrwasser, dort Kopfnicker-Breaks im Hiphop-Style und nur eine Minute später übernehmen Drum&Bass-Patterns das Regiment über den Track. Das amerikanische Duo tritt mit reinem Gewissen, umfangreicher Sound-Bibliothek und fortgeschrittenem Produzenten-Knowhow zum Parforce-Ritt durch die elektronische Musiklandschaft an und läßt sich weder durch Stilgrenzen und Genregräben irritieren. Verschieden Härtegrade und Tempi stellen scheinbar genauso wenig ein Problem dar, wie die Homogenität von Tracks - und so wird verbunden, was für richtig befunden wird. Dennoch ist das Resultat keine lose Sammlung von akustischen Cut-Up-Collagen, sondern ein Zehn-Tracker, der in sich geschlossen und durchaus zu Ende gedacht wirkt, auch wenn sich angesichts der Diversität des Materials und Stile kein roter Faden entdecken lassen will. Den liefert Matthew Jeanes, eine Hälfte des Projektes, mit einer sinnstiftenden Interview-Passage: "Fashion victim ist das Resultat meiner Frustration über die Mode, die Imagelastigkeit und die Oberflächlichkeit, die zunehmend die wirkliche Substanz überflügeln". Und so ist die CD dann auch als Manifest zu verstehen, zehn Kapitel gegen ästhetisches Schubladendenken und gegen künstlich geschaffene und von Trends diktierte Grenzen. Essentiell. Webpräsent unter http://www.zeroplate.com (FS)
14 Punkte

TARMVRED "Viva 6581"
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Es ist schon gut zwei Jahre her, daß die elektronische Gemeinde dem Sound des ersten Volkscomputers Commodore C64 zu einer Wiederauferstehung verholfen hat. Nun ist es der Rhythmic Noise-Aktivist TARMVRED, der den musikalischen Fähigkeiten des damals verbauten Soundchips MOS6581 seine künstlerische Aufwartung macht. Und wie zu erwarten, brilliert der Schwede auch beim Aufguß der Retro Sounds. Auf den vier in Anlehnung an den Chiptyp schlicht mit den Ziffern 6, 5, 8, 1 betitelten Tracks fröhnt TARMVRED schlicht und überzeugend der Freude am Sound-Clash. Hier kollidieren die Melodien der frühen Computer-Spiele mit verzerrten Breaks, kruden Noise-Sequenzen, verquere Italo-Disco-Lines garniert mit allgemeinem Sample-Wahnsinn. Das Ergebnis hört sich an, als hätte man einen Soundtrack für "Pacman in Distortion Land" oder "R2D2 in low-fi-hell" in Auftrag gegeben und wäre prompt beliefert worden. Zwar fällt der weniger eingängige dritte Track in Vergleich zu den anderen leicht ab, dennoch ist die EP ein klarer Kauf und wohl plaziert mit Sicherheit ein Highlight in jedem DJ-Set. Nach knapp 20 Minuten bleibt neben einem breiten Grinsen auch die Hoffnung auf mehr - "Viva 6581, viva robots!"
Webpräsent unter http://www.tarmvred.net (FS)
13 Punkte
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